Das Buch der Steine

Für seine Motive lässt sich der Künstler von Ransmayrs sprachlichen Bildern anregen. Zum Beispiel beschäftigt ihn das Buch der Steine.

Buch der Steine - ArdècheEcho, die Schöne, deren Körper aber von einer über ihn wandernden Schuppenflechte entstellt wird, die als schwachsinnig gilt, da da sie auf Fragen nicht antwortet, sondern sie wiederholt, die den Eisenerzkochern und Viehhirten als Hure dient, die sie daraufhin mit Naturalien beschenken, die sie jedoch verfaulen lässt, Echo ist die erste, die Cotta Näheres von Naso erzählt. Auf ihren Wanderungen durch das Gebirge erzählt sie Cotta Nasos Geschichten, von denen er behauptete, sie aus Flammen, Glut und Aschen herauszulesen. Echo nannte diese Geschichten das Buch der Steine, denn immer, von unglaublich harten Schicksalsschlägen getroffen und in die furchtbaren Folgen ihrer Handlungen tragisch verstrickt, immer verwandelten sich die Menschen in Steine.

Buch der Steine - Mies van der Rohe Pavillon, BarcelonaWas wäre ein mögliches Motiv für das Buch der Steine? Etwa die rund gemahlenen Steine in der Ardèche, die schon Max Ernst faszinierten, so dass er sie mit nach Hause nahm und bemalte. Oder der mit Kieseln gefüllte Teich vor dem von Mies van der Rohe erbauten Pavillion in Barcelona? Oder die Steilwand einer Schlucht, ein Schnitt durch die Geschichte der Erde, ein geologisches Tagebuch?

Der Künstler fotografiert stattdessen eine Geröllhalde, einen Erdrutsch, wild durcheinandergeworfene Brocken, die einen steilen Abhang hintergestürzt sind. Nachdem sie Kamera und Stativ über Tymiansträucher und vertrocknete Äste geschleppt haben, sieht der Auftraggeber auf der Fotoplatte ein Gewirr grauer Flächen. Die kleine Struktur unterschiedlicher Brauns im unteren Teil der linken Bildhälfte, für das Auge eine aufheiternde Abwechslung, auch sie wird noch verschwinden. “Wir machen keine Reduplikation der Wirklichkeit”, stellt der Künstler apodiktisch fest, nachdem der Auftraggeber das Braun zu einem wesentlichen Bildelement aufzuwerten versucht. Die Vorschläge des Auftraggebers neigen offenbar zum Konkreten, zum Anschaulichen, zum bloß Illustrativen. Damit degradiert er das Tableau zu einem Kommentar, er macht aus ihm lediglich eine Bebilderung des Textes. So kann aus dem Tableau kein dem Romantext gleichwertiges Gegenüber werden, kein Dialog zwischen Bild und Text stattfinden, kein Austausch, der zu einer gegenseitigen Erweiterung, Bereicherung, Erläuterung, Erhellung beider Werke führt. Gegen diese beständige Inflitration des Auftraggebers, gegen seinen Hang zum Konkreten und Dekorativen muss sich der Künstler mit Abstraktion wehren, mit Abkehr vom bloß oberflächlich Ästhetischen, vom einfach sinnlich Schönen. Ein schwere Arbeit. Er darf sich seine Motive nicht trivialisieren und verwässern, nicht seichter und hübscher machen lassen.

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